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Audiomitschnitt: Podiumsdiskussion zu antifaschistischer Strategie (Kommunistische Linke Köln, Kommunistischer Aufbau)

Die im November entstandene Correktiv-Recherche hat bundesweit eine Welle der Proteste gegen Rechts hervorgerufen. Im Mittelpunkt dieser Proteste standen vor allem die Forderungen nach dem Schutz demokratischer Werte und Toleranz. Die Ampel-Regierung inszenierte sich dort als Teil dieser Bewegung, währenddessen sie ihre menschenverachtende Asylpolitik mit der Verabschiedung des GEAS Abkommen auf eine neue Stufe brachte. Rechte Politik und faschistische Positionen haben schon seit geraumer Zeit Einzug in den Bundestag erhalten und rechte Akteure treiben sich schon lange nicht mehr nur in den Vororten herum.

Bei einer Podiumsdiskussion auf der revolutionären Frühjahreskonferenz wurde zwischen der Kommunistischen Linken Köln  und dem Kommunistischen Aufbau diskutiert, wo die antifaschistische Bewegung gerade steht, welche Problemstellungen es gibt, welche Strategien wir entwickeln können, wie es mit militantem Antifaschismus aussieht, und vieles mehr..

Also hört selbst rein: Podium zu antifaschistischer Strategie

Eine weitere (ausführliche) Veröffentlichungen zur Frage des Antifaschismus von Perspektive Kommunismus findet ihr hier: Perspektiven No. 1: Antifaschismus

feministisch kämpfen! Für eine revolutionäre Perspektive

Aufruf von Perspektive Kommunismus zum 8. März:

Kürzungen im sozialen Bereich, Überlastung und Unterbezahlung in den sozialen Berufen, ein kaputt gespartes Bildungs- und Gesundheitssystem, Kitaplatzmangel, Teuerungen, Inflation, Kriege, verschärfte Asylabkommen – schon lange keine Neuheiten mehr für uns. Vor allem in der öffentlichen Daseinsfürsorge, die die Versorgung aller Menschen in unserer Gesellschaft mit lebenswichtigen Dingen wie Strom, Wasser, Mobilität sowie Bildung, Gesundheit und Kultur sichern soll, spitzen sich die Widersprüche drastisch zu. All das sind Zustände, die Frauen nicht nur als Teil der Arbeiter:innenklasse, sondern besonders aufgrund ihres Geschlechts treffen.

Sozialer Kahlschlag und Rechtsentwicklung

Es liegt nicht im Interesse der herrschenden Klasse in Politik und Wirtschaft, eine gute Versorgung für alle zu leisten, ebenso wenig wie erträgliche Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in diesen Bereichen. Personalmangel, Überstunden, Überlastung, keine angemessene Bezahlung, die für unser ein anständiges Leben reichen, stehen auf der Tagesordnung. Vielmehr sind diese aktuellen Zuspitzungen Symptome einer Krisenpolitik, deren Ziel es ist, die kapitalistischen Verhältnisse zu sichern.

Sozialabbau und Sparpolitik werden immer sichtbarer: Finanzminister Lindner versichert zwar, es solle keine Reduzierung bei sozialen Standards im Bundeshaushalt geben, gleichzeitig werden jedoch Sanktionen im Bürgergeld verschärft und das Wohngeld gekürzt. Im Januar 2024 philosophiert der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Uwe Brandl, über Kürzungen von Sozialleistungen – bei Kindern und Pflegebedürftigen. An den Kürzungen in diesem Bereich sieht man sehr gut, dass die Grundversorgung für den bürgerlichen Staat keineswegs verpflichtend ist, sondern zur ständigen Disposition steht. Gleichzeitig werden autoritäre Maßnahmen – wie Überwachung, Militarisierung und Repression – ausgebaut. Mit dem Beginn des Ukrainekrieges floss ein Sondervermögen vom 100 Milliarden Euro in Panzer und Waffen. CSU und SPD wollen die Wehrpflicht wieder einführen und der Polizeiapparat wird mit massiverer Ausstattung und weitreichenderen Befugnissen ausgebaut. Während die herrschende Klasse aufrüstet und Sozialabbau betreibt, versucht sie mit Sündenbockpolitik – also rassistischer und sozialchauvinistischer Hetze und Realpolitik – von der kapitalistischen Krise abzulenken: Bundeskanzler Olaf Scholz propagiert, härter gegen irreguläre Migration in Deutschland vorzugehen und “im großen Stil” abzuschieben. Die Grüne-Partei steigt in die rassistische Realpolitik mit ein, indem sie sich auf ihrem Bundesparteitag Ende 2023 hinter den Asylkompromiss der EU „GEAS“ stellten, der die Prüfung und Registrierung von Asylgesuchen stärker an die EU-Außengrenzen verlagert. So versucht sich die deutsche Regierung Menschen, die auch aufgrund der deutschen kriegerischen und ausbeuterischen Außenpolitik vertrieben und zur Flucht gedrängt werden, fernzuhalten. Der Rechtsruck in Deutschland umfasst also mehr als die AfD – bürgerliche Parteien von den Grünen bis hin zur CDU setzen realpolitisch um, was Rechte und Faschisten an Hetze propagieren.

Die Zusammenhänge von Wirtschaftskrise, Kriegstreiberei und Rechtsruck sind kein Zufall oder einfach schlechte Zeiten, in denen wir leben. Es handelt sich hierbei auf allen Ebenen um strukturelle Probleme des Kapitalismus. Die politische Schwerpunktsetzung der Herrschenden setzt Prioritäten: Die Aufrechterhaltung der kapitalistisch-profitorientierten Wirtschaft und imperialistischen Einflusssphäre. Eine Versorgung für alle zu gewährleisten, ist in diesem System nicht oder nur mit Abstrichen möglich.

Weibliche Stereotype und die Ideologie der Mutterrolle werden aufrechterhalten, um sich die Reproduktion von Arbeitskraft für das Kapital möglichst nichts kosten zu lassen. Hier zeigt sich, dass reproduktive Arbeit, die bis heute – bezahlt und unbezahlt – vor allem von Frauen geleistet wird, auch für die kapitalistische Mehrwertproduktion notwendig ist. In Krisenzeiten werden Frauen noch mehr in die Rolle gedrängt, dies zu Hause umsonst und freiwillig erledigen. Die Verschlechterung der sozialen Daseinsfürsorge spitzt das nochmal weiter zu, denn es sind Frauen, die die Leerstellen der staatlichen Daseinsfürsorge unbezahlt und „im Privaten“ auffangen, da sie auf die Kinder aufpassen oder Angehörige pflegen. Gleichzeitig müssen es sich Frauen immer noch gefallen lassen als billige Arbeitskräfte ausgebeutet zu werden. Damit keine aus der Reihe tanzt und sich wehrt, wird der alltägliche Sexismus und Gewalt gegen Frauen billigend in Kauf genommen.

Krieg, Flucht und Vertreibung weltweit

Nicht nur in Deutschland bekommen wir die Auswirkungen der kapitalistischen Krise zu spüren. Kriegerische Auseinandersetzungen nehmen immer weiter zu. Frauen sind dabei die besonders Leidtragenden. Sie sind einer extremen Gewalt ausgesetzt und nicht selten werden Vergewaltigungen als Kriegswaffe genutzt. Im Gazastreifen sind laut „UN Women“ mittlerweile 70 % der zivilen Todesopfer Frauen und Kinder. 50.000 Schwangere müssen ohne Schmerzmittel, Wasser, Elektrizität, medizinische Versorgung ausharren und teilweise sogar gebären. Frauen in Gaza versuchen unter diesen Bedingungen ihre Familien am Leben zu halten. Mehr als 950.000 Frauen und Mädchen wurden aus ihren Häusern vertrieben. Auch auf der Flucht kommt es vermehrt zu patriarchaler Gewalt.

Imperialistische Kriege bedeuten immer einen Angriff auf Frauen. Ganz deutlich wird dies in Rojava, welches seit Jahren vom türkischen Staat mit deutschen Panzern bombardiert und angegriffen wird. Dies ist ein Angriff auf die Frauenrevolution, auf gesellschaftliche Selbstbestimmung und Selbstverteidigung, auf feministische Errungenschaften und gesellschaftliche Emanzipation. Die Frauenrevolution in Rojava verfolgt das Ziel eine Gesellschaft aufzubauen, die nicht auf der kapitalistischen und patriarchalen Ordnung basiert. Weltweit werden Frauen auf unterschiedliche Weise angegriffen: Sei es in Rojava mit Bomben imperialistischer Großmächte. Sei es in Polen durch Verschärfungen des Abtreibungsparagrafen durch die PiS-Regierung, im Iran durch repressive Verschleierungsgesetze oder in Peru im Ringen um das „Gender Identity Law“. In Deutschland stehen wir als feministische und revolutionäre Bewegung vor der Herausforderung, den gesellschaftlichen Rechtsruck zurückzudrängen. All diese Angriffe hängen mit dem patriarchalen Kapitalismus und seiner profitorientierten Logik zusammen. Ob die feministischen Kämpfe erfolgreich sind oder nicht – sie sind richtige und notwendige Erhebungen gegen patriarchalen Zustände, die sich aktuelle internationale zuspitzen. Die Notwendigkeit einer Revolution und einer damit einhergehenden sozialistischen Wirtschaftsführung ist drängender denn je.

Unsere Perspektive

Wir wollen nicht in einer imperialistischen, neokolonialistischen Welt leben. Wir wollen, dass die gesellschaftlich notwendigen, reproduktiven Arbeiten so organisiert sind, dass sie sich tatsächlich am Wohle aller Menschen orientiert und nicht am Profit einiger weniger. Wir wollen eine Daseinsfürsorge, die sich solidarisch und kollektiv nach den Bedürfnissen der Menschen richtet. Wir wollen, dass unser Zusammenleben auf Solidarität aufbaut und wir kollektiv die Kinderbetreuung, Angehörigenpflege und die Krankenpflege gestalten. Der Kapitalismus schafft es nicht, Lösungen für seine durch ihn selbst verursachten Krisen zu finden.

Es braucht eine Revolution, um die Grundlage für ein Ende der Ausbeutung der Frau zu schaffen und eine nach Bedürfnissen der Menschen organisierte Wirtschaft möglich zu machen. Diese Revolution muss feministisch sein, das heißt die konkrete Situation der Frauen mit höchster Priorität beinhalten. Wir Frauen müssen Teil des revolutionären Kampfes sein, um ihn auf allen Ebenen feministisch prägen zu können. Gleichzeitig müssen wir uns auch gegen patriarchale Strukturen in unseren eigenen Reihen organisieren. Wir müssen uns erheben, uns organisieren, revolutionäre Perspektiven entwickeln und weitertragen, für die Überwindung des Kapitalismus kämpfen und für eine sozialistische Zukunft eintreten.

Frauen kämpfen an vorderster Front für einen Bruch mit Kapitalismus und Patriarchat. Damals, als sie mit einer Hungerrevolte im März in Russland Aufstände und Streiks einleiteten, die in der Oktoberevolution 1917 mündeten, aber auch heute in Rojava, im Iran oder den Philippinen. Organisiert auch ihr euch in euren Städten und beteiligt euch an Aktionen rund um den 8. März! Kommt mit uns auf die Straße!

Für die feministische Revolution!
Für den Kommunismus!

Debattenbeitrag zu den Bauernprotesten

Mit den Bauernprotesten ist in den letzten Wochen und insbesondere seit dem 8. Januar eine neue Krisenprotestbewegung auf den Plan getreten, die uns als revolutionäre Linke erneut vor interessante Aufgaben stellt und die Möglichkeit bietet Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.

Wir möchten im folgenden ein paar grundsätzliche Thesen aufstellen die bei einer Bewertung dieser Proteste helfen sollen und einen Beitrag zur laufenden Debatte leisten.

1. Charakter der Proteste

Wir sehen die Bauernbewegung als kleinbürgerliche Bewegung an. Zwar gibt es einige Ausreißer nach oben, sprich auch einige Großbetriebe der Landwirtschaft beteiligen sich, aber der Großteil wird von den wenigen noch in der BRD bestehenden kleinen Landwirtschaftlichen Betrieben gestellt. Eine proletarische Bewegung ist es nicht, da die Landwirt:innen zwar selbst auch an der Arbeit beteiligt sind, aber über eigene Produktionsmittel verfügen (Maschinen, Acker, Lager, etc.) und Angestellte beschäftigen und deswegen eigene Interessen verfolgen. Wir können sie als „schwankende“ Klasse begreifen.

Die Kleinbauern beweisen mit den Protesten ein hohes Maß an Klassenbewusstsein. Ein Klassenbewusstsein das allerdings auf sehr dünnen Beinen steht. Sie sind wegen der zunehmende Monopolisierung der Landwirtschaft dauerhaft von Proletarisierung bedroht. Gab es 1950 in Deutschland noch rund 2 Millionen Bauernhöfe, sind es heute nur noch 250 Tausend, während die Zahl der landwirtschaftlichen Großbetriebe (über 100 Hektar Land) allein seit 2010 um 15% gestiegen ist. Denjenigen Bauernfamilien, die mit der Produktion der Großbetriebe nicht mehr konkurrieren können, müssen ihre Höfe und Äcker verkaufen und sich eine Anstellung suchen. Zusätzlich führt die Globalisierung des Nahrungsmittelmarktes dazu, dass sie ohne die enormen Subventionen eigentlich nicht mehr selbstständig überlebensfähig sind und das eben auch weil ein Großteil der Subventionen der EU nicht den Kleinbauern, sondern den Großbetrieben zur Güte kommt da die Vergabe der Subventionen an die Zahl der Hektar des Betriebes gebunden sind. Folgerichtig fühlen sich die Kleinbauern durch eine teilweise Zurücknahme der Subventionen in ihrer Existenz bedroht und gehen mit einem beeindruckenden Maß an Militanz auf die Straße. Diese Art der Proteste zeigte schon erste Wirkung und so nahm die Bundesregierung einen Teil der Kürzungen bereits zurück. Auch ein hohes Maß an Antagonie gegen die Regierung prägt den Protest. Allerdings gibt es keinen Konsens und keine vernehmbare Diskussion darüber was den nun die Alternative ist. Eine soziale und ansatzweise umfassende inhaltliche Perspektive haben die Proteste nicht. Dieser Charakter ist für die weitere Betrachtung essentiell.

2. Revolutionäre Perspektive

Wir können auch ohne die hypothetische Diskussionen einige revolutionäre oder zumindest antikapitalistische und anti-imperialistische Ansätze finden die notwendig sind um die Bauernproteste zu politisieren.

Der Grundgedanke das die Landwirtschaft eines Landes die eigene Bevölkerung ernähren können soll, um im Kriegs- und Krisenfall unabhängig von Importen zu sein, machen wir als Grund für die seit Jahrzehnten bestehenden Subventionen aus. Eine stückweise Streichung dieser Subventionen bedeutet allerdings einen Umdenken der herrschenden Politik. Das Haushaltsloch, das durch die Kürzungen gestopft werden soll, entsteht nicht zuletzt wegen der 100 Milliarden „Sondervermögen“ die für die imperialistische Expansion in der Ukraine und sonst wo gebraucht wird. Folgerichtig, denn auf die deutschen Kleinbauern kann man verzichten, wenn einem in der Ukraine die „Kornkammer“ nach dem Krieg offen steht. Anstatt also an einer Nahrungsmittelsicherung im eigenen Land festzuhalten, wird auf imperialistische Expansion gesetzt. Wir können hier eine Brücke schlagen und den Protest im Sinne eines Angriffs auf die imperialistische Politik der Ampel-Regierung politisieren. Außerdem können wir uns abstrakt auf den Grundgedanken der Subventionen berufen: „Wir wollen das unsere Landwirtschaft unsere Bevölkerung auch ernähren kann!“. Die besondere Rolle der Landwirtschaft wird damit betont und einer der wichtigsten Aspekte des bäuerlichen Klassenbewusstseins in Ablehnung der Regierungspolitik bestätigt.

3. Rein ins Handgemenge

Das radikalisierte Kleinbürgertum (in dem Fall die Bauern) stellt die Massenbasis des Faschismus. Deswegen ist es nicht falsch aus antifaschistischer Perspektive die Bauernproteste zu bespielen. Wir konnten in Köln bis jetzt weder eine Vereinnahmung der Proteste von rechts beobachten noch konnten wir organisierte Versuche dazu erkennen. Bei der Großdemonstration am 8. Januar waren vereinzelt faschistische Akteure vor Ort allerdings ohne politischen Ausdruck. Aufgefallen sind dagegen eher zahlreiche Aufkleber mit der Aufschrift: „Landwirtschaft ist bunt nicht braun“, herausgegeben vom Bauernverband, sowie in kleiner Zahl antifaschistische und klimapolitische Plakate der Bauern. In Langenfeld und Herford wurden Medienberichten zufolge AfD Politiker der Proteste verwiesen. Weil die Bauern aber einer „schwankende“ Klasse angehören und historisch gesehen immer wieder zum Faschismus tendierten, halten wir eine antifaschistische Praxis für relevant.

Allerdings funktioniert das nicht von Außen sondern am besten innerhalb der Bewegung. Wir können uns an den Protesten beteiligen und eigenen Perspektiven auf machen und damit die Gefahr der reaktionären Vereinnahmung eindämmen. Wir müssen als revolutionäre Linke in Köln anfangen uns in solche Krisenbewegungen einzumischen ohne uns komplett darin zu verlieren. Es ist fraglich wie lange die Bauernproteste ohne größere Perspektive anhalten werden und wie die Schlichtungspolitik der Regierung ausfallen wird. Für Montag den 15. Januar sind bereits Gespräche zwischen der Ampel und den Bauernverbänden angekündigt.

Novemberrevolution 1918/19 – Geschichtliche Veranstaltung im Linken Zentrum

Am 05. Januar laden wir gemeinsam mit der Geschichtsinitiative “Revolutionäres Andenken” zu einer geschichtlichen Veranstaltung ins Linke Zentrum Köln ein. Beginn ist um 19 Uhr.

Am 15. Januar 1919 wurden die revolutionären Führer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg festgenommen, gefoltert und hingerichtet.

Die Ereignisse in den Jahren 1918/19 sind für uns als Kommunist:innen von Bedeutung. Zwar können wir nicht einfach an die Kämpfe aus dieser Zeit anknüpfen, denn wir sind heutzutage in einer ganz anderen Situation. Allerdings gibt es viel von dem wir lernen können und so finden wir es wichtig, sich als Kommunist:innen mit diesem Revolutionsversuch und der Geschichte der Kommunistischen Bewegung auseinanderzusetzen.

 

Das Besondere im Kampf um die Straßen

Broschüre als PDF zum download

Ende 2023 haben wir mit großer Freude die Broschüre “Hinter der Repression steht der Staat, zu den Ereignissen vom 1. Mai 2023” vom revolutionären Aufbau Schweiz gelesen.

Am 1. Mai 2023 hatte die Schweizer Polizei die revolutionäre Demonstration in Zürich massiv angegriffen, die Genoss:innen nahmen sich dies zum Anlass, um eine Broschüre zum Thema Repression und zum Verhältnis von revolutionärer Bewegung zum Staat zu schreiben.

Besonders das letzte Kapitel finden wir sehr gut, weil es verdeutlicht, welche Relevanz und welchen Sinn der Kampf um die Straßen hat! Mit der Wiederveröffentlichungen dieses Kapitels wollen wir in Köln und darüber hinaus ein Bewusstsein für den Kampf um die Straßen, für die Relevanz und Wirksamkeit von Demonstrationen schaffen.

Die ganze Broschüre ist zu finden beim Revolutionären Aufbau Schweiz

Bericht und Einschätzung zu den Protesten gegen die IAA 2023

Alle zwei Jahre präsentiert sich das deutsche und Teile des internationalen Automobilkapitals bei der IAA in München. Hier treten einige aktuelle Widersprüche des Kapitalismus sehr offen zu Tage: Die Automobilkonzerne verdienen daran, möglichst viele und möglichst große Fahrzeuge (seien es Privatautos, LKW oder Militärfahrzeuge) zu verkaufen. Das heißt ihr Geschäftsmodell trägt es in sich den Klimawandel weiter voranzutreiben, die Ressourcen der Erde im rasanten Tempo zu verbrauchen und Menschen weltweit in der Produktion auszubeuten. Das Geschäft mit den Autos basiert (wie viele andere Sektoren im Kapitalismus) auf einer absurden Konsumlogik – Autos stehen 90 % der Zeit nur herum, trotzdem kommt auf jeden zweiten Einwohner Deutschlands ein angemeldetes Auto. Dadurch dass das Auto eins der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste, deutsche Industrie- und Exportprodukt ist, hat diese Kapitalfraktion ein unglaubliches Gewicht im Verhältnis zum deutschen Staat. Die Profitbedürfnisse der Eigentümer:innen von BMW, Mercedes und Co strukturieren auf besondere Weise unsere Gesellschaft: die Städte sind auf den Autoverkehr ausgelegt, der Individualverkehr wird mit Pendlerpauschale, Steuervergünstigungen für Firmenwägen usw. subventioniert und der ÖPNV im Vergleich dazu systematisch kaputtgespart. Dass all diese Widersprüche weiterbestehen können, anstatt dass die Mobilität auf andere Weise kollektiv organisiert wird, liegt in den Eigentumsverhältnissen im Kapitalismus begründet

Zur Vertuschung all dieser Zusammenhänge gibt das Autokapital jedes Jahr viel Geld für Marketing aus, ein Teil dieser Werbestrategie ist die IAA. Dort wird sich einerseits vermeintlich „grün“ präsentiert und alternative Mobilität auf die Fahnen geschrieben, um das Image vom Klimakiller Auto loszuwerden und den Anschluss an andere nationale Kapitale wie die chinesischem Autobauer nicht zu verlieren. Andererseits wird wie eh und je die Werbetrommel gerührt für das Auto als erstrebenswertes Statussymbol. In den Messehallen werden die dicksten und alltagsuntauglichsten Spritschleudern ausgestellt, deren einziger Bezug zum Leben der Durchschnitts-Besucher:innen ist, dass sie den Standard-Hintergrund für IAA-Selfies abgeben.

Die Klimabewegung hat schon 2019 begonnen die IAA als Ausdruck der Klimazerstörung anzugreifen. Die Veranstaltung hat sich zu einer wichtigen Mobilisierung der linken Bewegung in Deutschland entwickelt. Grund genug für uns, Teil dieser Proteste sein. Gemeinsam mit verschiedenen antikapitalistischen Klimagerechtigkeitsstrukturen sind wir im Zusammenschluss Smash IAA aktiv, gegründet vor zwei Jahren als die IAA zum ersten Mal in München stattfand. Smash IAA konnte damals schon erfolgreiche Störaktionen mit klassenkämpferischem Ansatz durchführen.

Vom 5. – 10. September 2023 waren wir auch diesem Jahr am Protest in München beteiligt: Mit einem revolutionären Barrio auf dem Mobilitätswendecamp im Luitpoldpark, mit Veranstaltungen, vielfältigen Aktionen und Teilnahme an der gemeinsamen Großdemo.

Smash IAA hat einen ausführlichen Bericht zu den Aktionen dieses Jahr veröffentlicht, auf den wir gerne verweisen. Wir wollen mit dieser Veröffentlichung nicht auf jedes Detail der Mobilisierung eingehen, sondern thesenhaft einige Beobachtungen und Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen der IAA festhalten, die Grundlage für strategische Diskussionen sein können und sich unserer Meinung nach teilweise auch verallgemeinern lassen.

1. Antikapitalistischer und gesamtgesellschaftlicher Charakter der Proteste

Im Vergleich zu der Mobilisierung vor zwei Jahren waren die Proteste gegen die IAA antikapitalistischer geprägt und haben inhaltlich viele Themen ausgeworfen, die über den reinen Klimaaspekt hinausgehen. Das lag sicherlich auch daran, dass sich die großen Umwelt-NGOs dieses Jahr stark zurückgezogen haben, und die Proteste, Infrastruktur und Demo maßgeblich von Aktiven aus der linken und linksradikalen Bewegung selbst auf die Beine gestellt wurden.

Beim Camp und den damit verbundenen Veranstaltungen angefangen über die Aktionen bis hin zu dem Ausdruck der Demo zog sich die Kapitalismuskritik durch. Außerdem wurde der Charakter der IAA, nicht nur als Klimakiller-Event sondern allgemein als Symbol des deutschen Kapitals deutlich. Smash IAA thematisierte angesichts von Kriegsgefahr und Militarisierung nicht nur die Autoproduktion, sondern zentral auch die Rüstungsbeteiligung der deutschen Autoindustrie. Auch auf Aktionen bei der Demo wurde das Thema internationale Solidarität im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Rüstungsindustrie hervorgehoben.

Eine breite Beteiligung von Internationalist:innen am Camp durch ein eigenes Zelt und die Zusammenarbeit im gemeinsamen revolutionären Barrio sind ebenfalls gute Beispiele dafür, wohin es gehen kann.

Die Klimakrise ist sowohl eine Frage des Systems als auch eine globale. Die Klimakrise als Ergebnis kapitalistischer Produktionsverhältnisse zu begreifen bedeutet auch, dass die Suche nach einer Strategie im Klimakampf nicht getrennt werden kann von der Suche nach einer revolutionären Strategie hin zum Bruch mit diesen Verhältnissen. Um letztendlich die Möglichkeit zu haben den Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen, muss die Klimabewegung innerhalb einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung agieren, als Teil unserer proletarischen Seite im Klassenkampf für die Revolution, und das mit Bezug auf die weltweite Arbeiter:innenklasse.

2. Suchbewegung: Welche Strategie im Klimakampf verfolgen?

Verbunden mit dieser antikapitalistischen Richtung im Gesamten, war es vor allem die Frage nach der richtigen Strategie im Klimakampf, die von vielen Camp-Teilnehmer:innen und beteiligten Strukturen im Rahmen der Protestwoche immer wieder aufgegriffen wurde.

Das wurde an verschiedenen Stellen deutlich: Nach einer gutbesuchten Camp-Veranstaltung unter dem Titel „Lehren aus Lützerath“ vom Antikapitalistischen Klimatreffen Köln, entwickelte sich unter den Teilnehmer:innen eine grundsätzliche Diskussion zur Organisierung in der Klimabewegung.

Besonders zeigte sich die Bedeutung der Strategie-Frage aber an der größten Veranstaltung auf dem Camp: Der Podiumsdiskussion am Samstag Abend unter dem Titel Klima retten, Kapitalismus abschaffen – wir brauchen eine Strategie!“, an der Vertreter:innen von „ums Ganze“, „Fridays For Future“ (Frankfurt), der „Letzten Generation“ und auch eine Genossin von uns teilnahmen. Dass die Grenzen, Fehler und falschen Illusionen des reformistischen und selbstbezogenen Ansatzes der „Letzten Generation“ hier schnell auf den Tisch kamen und kritisiert wurden, war absehbar. Über die Widersprüche öffentlich zu diskutieren bleibt dennoch ein wichtiges Mittel, um nach Innen und Außen für Klarheit zu sorgen und um gegen staatliche Angriffe und bürgerlichen Hetze eine solidarische Ebene zu finden und zusammenzustehen.

Tiefergehender war die Kontroverse um das revolutionäre Subjekt und den Klassenstandpunkt im Klimakampf. Auf der einen Seite unser Ansatz, neben der Arbeit in politischen Bewegungen wie der Klimabewegung auch Teil der noch zögerlichen Kämpfe von Beschäftigten (auch in der Automobilindustrie!) gegen die Angriffe des Kapitals in der kapitalistische Krise zu werden, dabei die Eigentumsfrage zu betonen und nach Möglichkeiten zu suchen, den im Kapitalismus realen Widerspruch zwischen Arbeitsplatz und Klimaschutz durch eine revolutionäre Perspektive aufzuheben.

Auf der anderen Seite die von „ums Ganze“ vertretene Einschätzung, dass der deutsche Standortnationalismus den Interessengegensatz zwischen deutschem Kapital und Industriearbeiter:innen in Deutschland soweit verwische und das Bewusstsein der Massen beeinflusse, dass große Teile der Arbeiter:innenklasse keine Verbündeten seien oder zumindest keine zentrale Rolle im Kampf um Revolution und Klimagerechtigkeit einnehmen könnten.

Für die Verbindung einer klassenkämpferischen Zusammenarbeit mit Beschäftigten und einer antikapitalistischen Perspektive trat allerdings die Frankfurter Ortsgruppe von „Fridays for Future“ ein, die sich im Gegensatz zu anderen Teilen der Bewegung nicht im Parlamentarismus verliert und sich vor den Karren „grüner“ Regierungspolitik spannen lässt.

So heterogen die Klimabewegung auch ist, so stark derzeit die Einflüsse von individualistischen und rein identitätspolitischen Ansätzen sind: Die Orte, wo der Kampf ernsthaft geführt wird – und der Widerstand gegen die IAA im von Bullen belagerten München gehört definitiv dazu – sollten genutzt werden, um über die Eckpunkte und Möglichkeiten revolutionärer Politik in den Austausch zu kommen: Über Organisation, Kampfformen, Klassenstandpunkt, Möglichkeiten von Gegenmacht etc. Und das nicht nur in Diskussionen, sondern auch anhand der konkreten gemeinsamen Praxis und Gegenkultur.

3. Das deutsche Kapital angreifen! Klassenstandpunkt im politischen Kampf

Bei der letzten IAA war der Bezug zum Klassenstandpunkt ein sehr unmittelbarer: ein konkretes Anliegen von Beschäftigten wurde thematisiert, mit denen es auch direkten Austausch und Ansätze von Zusammenarbeit gab. Das Beispiel des Bosch-Werks in Berg am Laim wirkte als Symbolprojekt in die Klimabewegung, um zu zeigen dass Klimabewegung und Beschäftigte am bestimmten Punkten zusammenkommen können. Dieser Ansatz hat sich erfreulicherweise in großen Teilen der Klimabewegung durchgesetzt und in der Unterstützung der Streiks im Öffentlichen Verkehr Anfang des Jahres neue Formen gefunden. Wo immer sich solche Gelegenheiten im Klimakampf bieten, ist es richtig sie zu ergreifen. Dazu gab es zwei Veranstaltungen, die sich explizit mit den Fragen der Chancen und Probleme in dieser Frage beschäftigt haben: ein Gespräch mit einem Trambahnfahrer der Münchner Verkehrsgesellschaft zur Auswertung der gemeinsamen Kampagne zu den Nahverkehr-Streiks und ein Gespräch mit einer Kollegin von Daimler. Zur Demo gab es einen gemeinsamen Aufruf zu einem Beschäftigten-Bereich, der von Kolleg:innen unterstützt und verteilt wurde.

Der praktische Schulterschluss mit den Kolleg:innen verschiedener Branchen wird perspektivisch wesentlich sein, um eine umfassende proletarische Gegenmacht zu entwickeln. Es ist daher heute schon wertvoll, nach Möglichkeiten zu suchen, vertrauensvolle Verbindungen zu Kolleg:innen aufzubauen, politische Verständigung und gemeinsame Projekte anzugehen. Das hat in der Klimafrage eine besondere Bedeutung, weil rechte Kräfte wie die AfD oder “Zentrum Automobil” sich mit ihrer Klimawandel-Leugnung und Kampagnen für den Verbrenner als Verteidiger von Arbeiter:inneninteressen verkaufen.

Wichtig ist aber auch, dass Klassenstandpositionen auch im politischen Kampf entwickelt und in politische Bewegungen getragen werden können. Die Schwerpunktsetzung von Smash IAA dieses Jahr, die Selbstdarstellung eines der größten deutschen Auto-Konzerne, zu stören, und dabei seine Waffengeschäfte zu betonen, hatte einen Klassencharakter. Wesentlich sind Aspekte wie: Durch welche Klasseninteressen wird der politische Gegner bestimmt, welche Stoßrichtung ergibt sich daraus für uns? (gegen die Kapitalist:innen statt gegen Beschäftigte, Konsument:innen etc) Wie vermitteln wir unsere Aktionen, und wie ordnen wir sie in die aktuelle gesellschaftliche Situation ein? In diesem Fall ist das die Thematisierung von steigender Kriegsgefahr, Aufrüstung und Militarisierung in der Krise und der Aufbau eines Gegenpols zu dieser Entwicklung im Gesamtinteresse der Klasse – auch und gerade weil Ansätze im antimilitaristischen Kampf wenig entwickelt sind.

4. Herausforderung: selbstbestimmte Praxis im urbanen Raum

Es war in erster Linie eine organisatorische Herausforderung und Qualität selbstbestimmte politische Aktionen durchzuführen, während 4.500 Bullen das gesamte Münchner Stadtgebiet belagerten, Unmengen an Zivi-Bullen sich auf der Suche nach Aktivist:innen umhertrieben und das Camp 24/7 von allen Seiten belagert wurde.

Die IAA-Proteste waren eine weitere Lehrstunde in Sachen Handlungsfähigkeit trotz übermächtigem Gegner. Als Teil vom Smash IAA, möchten wir an dieser Stelle einige Überlegungen rund um die Aktionen am Samstag Vormittag ins Feld führen:

Wir denken, dass es einen besonderen Wert hat, sich den öffentlichen Raum zu erkämpfen. Gerade in Momenten, in denen die Gegenseite, in diesem Fall Bullen und Autokonzerne, die Stadt als Ausstellungsort ihrer Propaganda und Macht erscheinen lassen. Natürlich nutzen wir auch angemeldete und geduldete Veranstaltungen, wie die Großdemo am Sonntag so intensiv wie möglich. Um die bürgerliche Hegemonie im öffentlichen Raum langfristig durchbrechen zu können, sind darüberhinaus aber vor allem Ansätze notwendig, die nicht als Verhandlungsprodukt mit staatlichen Stellen entstanden sind und weder in der Form, noch im Inhalt ihrer Kontrolle unterliegen.

Welche Aktionen möglich sind, lässt sich erst in der Praxis herausfinden – die Grundlage für die Aktionsbestimmung sollten unseres Erachtens nach nicht Konzepte vergangener Aktionen sein, die immer weiter kopiert werden. Und auch die mögliche Repression sollte nicht zum wichtigsten Faktor gemacht werden. Grundlage sollte vielmehr die Verbindung einer möglichst genaue Analyse der konkreten Situation (politisch, räumlich, Kräfteverhältnisse…) mit den politischen Zielen sein. Um auf der Straße dann auch voranzukommen, ist zudem ein gewisses Maß an Risikobereitschaft unerlässlich. Sowohl das Risiko des Scheiterns, als auch das der Repression können nie völlig ausgeschlossen werden. So würden wir auch den von den Bullen verhinderten Versuch einiger Genoss:innen, parallel zur Mercedes-Aktion auf dem Open-Space-Gelände zu intervenieren als richtige Initiative einordnen. Wir freuen uns, dass die IAA-Proteste im Ganzen ein Ort des Versuchs waren, wo zahlreiche Genoss:innen sowohl im Smash-IAA-Rahmen, als auch in anderen Aktionsstrukturen in dieser Richtung Erfahrungen gemacht haben auf die aufgebaut werden kann.

Zum Widerspruch Sicherheit und Beteiligungsmöglichkeiten: Die Bullen wussten im Vorhinein nichts vom Aktionsort der Schwerpunkt-Aktion von Smash IAA, dem Mercedes-Benz-Tower. Sie haben einen Aktionsfinger vor Beginn der Aktion zwar entdeckt und kurz vor dem Aktionsort angegriffen – allerdings unkoordiniert, hektisch und nur teilweise erfolgreich, weil doch Einige die Bullenketten durchbrechen und die Aktion starten konnten. (Eine Lehre ist dabei auch: Die Bullen haben ihren Mangel an Souveränität mit erhöhter Gewalttätigkeit ausgeglichen – daher die Jagdszenen und der harte Schlagstockeinsatz, der einzelne heftigere Kopfverletzungen zur Folge hatte.) Gleichzeitig konnten sich über 80 Aktivist:innen im zweiten Finger über längere Zeit unentdeckt bewegen und pünktlich, ohne von den Bullen erwartet zu werden, am Aktionsort ankommen. Viele der an der Aktion beteiligten Menschen hatten sich erst spontan auf dem Camp entschlossen bei der Aktion teilzunehmen, und es ist ein besondere Leistung auch unorganisierte Leute einbinden zu können.

Das zeigt: Die Kontrolle der Gegenseite ist nie vollkommen, auch wenn sie darum bemüht ist, dieses Bild zu schaffen. Es finden sich meistens Möglichkeiten, sich selbstbestimmt Räume zu erkämpfen. Um das zu schaffen sind verbindliche Organisation, kleinteilige Planung, Auswertung der Erfahrungen von anderen Aktionen und der Taktik der Gegenseite, aber auch partizipative Elemente und Flexibilität in der Durchführung entscheidend.

5. Organisiertes Zusammenkommen als Revolutionär:innen

Die Protestwoche in München hatte für uns neben der kurzzeitigen Strahlkraft und Dynamik, die solche Events meistens hervorbringen auch einen qualitativen Wert. Deshalb haben wir uns schon früh darauf konzentriert, Teil der Mobilisierung zu sein und einen revolutionären Bereich auf dem Camp zu bilden. Warum?

Die Möglichkeiten, als Revolutionär:innen über Stadtgrenzen hinaus zusammenzukommen, sind derzeit rar gesät. Über mehrere Tage hinweg und auf verschiedenen Aktionsebenen gemeinsame Praxiserfahrungen zu sammeln und grundsätzliche Diskussionen führen zu können, ist ein guter Ansatz, um langfristige Verbindungen aufzubauen und auch um die Verankerung vor Ort zu stärken – Aspekte ,die über das einzelne Event hinausweisen. Auch die kollektiven Prozesse der Selbstorganisation auf dem Camp, Erfahrungen der Solidarität, gemeinsame Vor- und Nachbereitungen verstehen wir als Beiträge zu revolutionärer Bewusstseinsentwicklung.

Es war darüberhinaus ein Rahmen, um als gesamtgesellschaftliche Bewegung und Organisationen sichtbar und greifbar zu sein. Neben den Veranstaltungen und Aktionen hat auch der gut besuchte Infostand am revolutionären Barrio und Veranstaltungszelt diese Orientierung greifbar gemacht: Mit Veröffentlichungen zu revolutionären Ansätzen im Klimakampf, Internationalismus, Anti-Kriegsarbeit, Frauenkampf, Antifa, sowie Infotafeln zu klassenkämpferischer Praxis in der Klimabewegung, der militärischen Produktion in der Automobilindustrie und zur Initiative „Gasmasken für die Guerilla!“ in Kurdistan. …

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Aufruf zur solidarischen Prozessbegleitung

Wir teilen hier den Aufruf vom “Arbeitskreisen Repression & Solidarität”:

Solidarität ist unsere Waffe – gemeinsam zur Prozessbegleitung

Im Frühjahr 2022 organisierten mehrere Gruppen aus NRW die Kampagne „Wir wählen die Straße – 365 Tage im Jahr in Bewegung bleiben“ anlässlich der Landtagswahlen in NRW.

Der Abschluss der Kampagne war eine Demonstration am Vortag der Wahlen in Köln. Ziel der Kampagne war klarzustellen, dass die bürgerlichen Parteien gerade im Wahlkampf gerechte Forderungen aufstellen und soziale Politik versprechen, während in Regierungszeit genau das Gegenteil gemacht wird – Sozialabbau, eine sich verschärfende Klimakrise, Kriege und ein nicht zu übersehender Rechtsruck sind Produkte kapitalistischer Politik.

Im Kontext dieser Kampagne steht nun ein Genosse aus Köln vor Gericht. Er sieht sich mit den Vorwürfen des Widerstands und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, sowie der körperlichen Misshandlung konfrontiert. Dabei wurden zwei Verfahren zu einem zusammengelegt. Am 10. Oktober steht in diesem Verfahren nun der nächste Termin an, bei dem eine Urteilsverkündung nicht auszuschließen ist. Im Raum steht eine höhere Geldstrafe oder eine Bewährungsstrafe von 4 Monaten.

Was ist passiert?

Am 13. Mai wurde ein Stand der Kölner AfD umgeräumt. Daraufhin kam es zur Auseinandersetzung zwischen Antifaschist:innen und AfD Politikern. Dem Genossen wird vorgeworfen an dieser Auseinandersetzung beteiligt gewesen zu sein. Während der Demo selbst wird ihm vorgeworfen einen Polizeibeamten angegriffen zu haben, um die drohende Festnahme einer anderen Person zu verhindern.

Das konsequentes antifaschistisches Handeln unabdingbar bleibt, zeigt ein Blick auf die gesellschaftliche Realität in diesem Land. Die AfD ist laut Umfragen aktuell zweitstärkste Kraft, rechte Angriffe auf Queere Menschen und Geflüchtete steigen stetig an und beinahe täglich werden neue rechte Netzwerke in Polizei und Justiz aufgedeckt. Wer im Kampf gegen rechte Kräfte siegreich sein will, muss sich mit allen Mitteln und auf allen Ebenen den Rechten in den Weg stellen. Antifaschistischer Widerstand ist nicht kriminell, sondern notwendig.

Es ist allerdings nicht nur die AfD und der faschistischer Terror, den es zu bekämpfen gilt. Ein Blick in die ganze Welt zeigt: Klimakrise, Kriege und patriarchale Gewalt sind an der Tagesordnung. Dabei werden all diese Probleme und Widersprüche vom Kapitalismus produziert und befeuert. Aktuell zeigt sich mehr denn je die Notwendigkeit sich gegen die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung zu organisieren, anstatt reformistischen Träumen nachzugehen und sein vertrauen in die bürgerlichen Wahlen zu setzen. Die Aufgabe der Polizei ist es die bestehenden (Eigentums-) Verhältnisse zu schützen. Daraus folgt, dass sie antikapitalistische & revolutionäre Kräfte angreifen – und das nicht nur in Köln. In ganz Deutschland sehen sich Antifaschist:innen und Revolutionär:innen mit Repression konfrontiert und werden vom Staat mit härtesten Mitteln bestraft. Jo, Dy und Lina oder die drei Genossen aus Stuttgart denen eine Beteiligung an der Krawallnacht vorgeworfen wird, sind nur einige Beispiele für die Kriminalisierung und Verfolgung von linker Politik.

Solidarität & Weitermachen!

Die Repression verfolgt das Ziel der Einschüchterung und Vereinzelung – durch eine hohe Geldstrafe oder Bewährung wird zudem versucht die politische Aktivität zu verunmöglichen.

Wir sind damit nicht alleine. Unsere Antwort auf die Repression muss sein der Vereinzelung entgegenzuwirken und den Genossen vor Gericht zu unterstützen. Es bedeutet aber auch weiterzumachen und den Kampf gegen Faschist:innen und diesen Staat nicht einzustellen, sich zu organisieren, in Aktion zu treten und somit einen Teil zum Aufbau einer revolutionären Bewegung beizutragen.

Freiheit für alle politischen Gefangen und viel Kraft allen Untergetauchten!

Kommt zur solidarischen Prozessbegleitung:

10. Oktober 12 Uhr Treffpunkt vor dem Amtsgericht Köln

Auswertung Marsch Für das Leben 2023

Am 16.09.2023 haben wir gemeinsam mit ca. 3000 Menschen auf den Kölner Straßen gezeigt, das christliche Fundamentalist:innen und rechte Ideologien in Köln keinen Platz haben.

Schon in der Vorbereitung auf den Marsch für das Leben gab es diverse Mobilisierungsaktionen, die den Gegenprotest in einen gesellschaftlichen Rahmen eingeordnet haben. Bannerdrops, Vorträge zu Abtreibung oder zum antifeministischen Konsens von Konservativen bis Faschist:innen. Besonders herausstellen wollen wir an dieser Stelle einen Farbangriff auf den Arbeitsplatz von Kardinal Wölki einige Tage vor dem Marsch für das Leben. Denn an der Frauenfeindlichkeit sind natürlich nicht bloß Lebensschützer:innen-Vereine verantwortlich. Es sind vor allem mächtige Institutionen, wie Staat und katholische Kirche, mit ihren prominenten Vertretern wie Wölki, die seit Jahrzehnten Missbrauch, Queer und Frauenhass prägen und verschleiern.

Im Folgenden wollen wir den Tag auswerten: Was ist gut gelaufen; was schlecht? Was für eine Strategie verfolgte die Polizei und was müssen wir im nächsten Jahr verbessern?

Zu Anfang können wir festhalten, dass es seit mehreren Jahren keine Demonstration in dieser Größenordnung in Köln gab. Vor allem das unsere Gegner uns aktiv gegenüber standen und auf der Seite des Gegenprotests so viele verschiedene Organisationen und Strömungen gemeinsam in einem Bündnis saßen, um einen Gegenprotest zu organisieren ist eine Neuheit.

Das hatte die logische Konsequenz, dass der ganze Tag sehr chaotisch war und in vielen Situationen der notwendige Überblick über die verschiedenen Aktionen fehlte, weshalb es am Tag selbst immer wieder zu Ratlosigkeit darüber kam was nun als nächstes zu tun ist und wo Gegenprotest gerade am besten funktioniert.

Trotz teilweise weitreichenden politischen und ideologischen Widersprüchen, gab es am Tag selber eine große Solidarität unter den Gegendemonstrant:innen, die sich in dem Bewusstsein über die Notwendigkeit des gemeinsamen Protest und der praktischen Umsetzung dieses Kampfes niedergeschlagen hat.

Zwar war unser Ziel natürlich die Fundamentalist:innen zu stören und ihren Marsch zu verhindern. Das hat auch gut funktioniert! Gleichzeitig hat der breite Gegenprotest eine gute Möglichkeit geliefert auch darüber hinaus unsere Standpunkte zu vermitteln. Das der Kampf um sexuelle und körperliche Gleichberechtigung nicht bei Abtreibungslegalisierung aufhört, sondern letztlich nur durch die Zerschlagung von Kapitalismus und Patriarchat erreichbar ist, wurde nicht genug betont und hat dem Gegenprotest die inhaltliche Schärfe geraubt. (Mehr dazu in unserer Veröffentlichung: https://kommunistischelinke.noblogs.org/post/2023/08/22/marsch-fur-das-leben-stoppen/) Es hätte unserer Meinung nach eine deutlichere Vermittlung der Forderungen und eine stärkere Bezugnahme auf andere feministische Kämpfe, wie zum Beispiel zu den Kämpfen der Frauen im Iran gebraucht.

Trotz den genannten selbstkritischen Punkten ist unser grundsätzliches Fazit des Tages sehr positiv: Wir werten den Tag als einen großen Erfolg für die feministische Bewegung im speziellen und die Linke Bewegung im allgemeinen aus. Es konnten große Teile aus dem Linken Spektrum, aber ebenso viele aus der Kölner Zivilgesellschaft, für die Demonstration und für die Blockaden mobilisiert werden. Das ist etwas was in Köln schon lange nicht mehr möglich war. Die Menschen, die an dem Tag auf der Straße waren, haben die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt zu demonstrieren und das man dem politischen Gegner überlegen sein kann.

Die Fundamentalist:innen haben sich zwar fürs nächste Jahr wieder angekündigt, dennoch konnten wir deutlich zeigen, dass sie in Köln nicht ohne Widerstand demonstrieren können und dass die Stadt und die politische Widerstandsbewegung alles daran setzt sie zu blockieren, anzugreifen und zu vertreiben. Ob und inwiefern sie nächstes Jahr erneut demonstrieren bleibt abzuwarten – sicher ist aber, dass auch nächstes Jahr mit starkem Gegenprotest zu rechnen ist.

Im folgenden wollen wir einige Überlegungen zur Polizeistrategie und eine Überlegung zur Frage der Abtreibung im modernen Kapitalismus teilen:

  1. Der Tag war unübersichtlich und chaotisch für die Polizei

    Da an den verschiedensten Stellen Blockaden, Demos/Kundgebungen und andere Aktionen stattfanden, war die Polizei überfordert. Es fiel der Polizei schwer einzuschätzen an welchem Punkt sie Schwerpunktmäßig Präsenz zeigen müssen

  2. Die Polizei hatte kein Bock auf schlechte Presse

    Beim ersten Versuch der Polizei die Blockade auf der Pipinstraße zu räumen, sind sie auf hohen Widerstand gestoßen und die Blockade wurde von unserer Seite stark und erfolgreich verteidigt. Es war also klar, dass sie sehr hart durchgreifen müsste, um diese zu räumen. Das die Polizei sich gegen das harte Durchgreifen entschieden hat und stattdessen die Blockade geduldet und die beteiligten Demonstrant:innen einfach gehen lassen haben, werten wir als eine Politische Entscheidung aus. Die Polizei hätte mit schlechter Presse rechnen müssen, wenn sie eine Blockade, die maßgeblich aus Zivil gekleideten Frauen und Queers bestand, mit Gewalt angegriffen hätte.

  3. Der Marsch für das Leben – Nicht im Gunst der Regierung

    Die Bürgermeisterin von Köln hat sich im Vorhinein gegen den Marsch für das Leben ausgesprochen und die Kölner:innen dazu aufgerufen am Gegenprotest teilzunehmen. Der Marsch für das Leben hat also von Beginn an schlechte Presse bekommen – eine Reaktion auf starke Polizeigewalt wäre dementsprechend empörend ausgefallen.

    Auch die Gemeinsame Bezugnahme auf den Marsch für das Leben seitens CDU und AfD hat diese schlechte Presse verstärkt und die Ausgangsposition für ein hartes Durchgreifen der Polizei verschlechtert.

  4. Legalisierung der Abtreibung im Widerspruch zu patriarchaler Logik?

    Zum jetzigen Zeitpunkt steht eine Legalisierung der Abtreibung in Deutschland nicht unmittelbar im Widerspruch zu kapitalistischer und patriarchaler Logik. Die Abschaffung des §219a zeigt, dass die Regierung und die Herrschenden gewillt sind die Abtreibung nach und nach zu legalisieren. Einerseits um die feministische Bewegung zu befrieden und andererseits um das liberale Bild der Selbstbestimmung im Kapitalismus voranzutreiben und ideologisch zu festigen, während parallel dazu weiterhin Frauen durch Lohn- und Sorgearbeit doppelt ausgebeutet werden. Die Politiker:innen lassen sich für ihre „feministische“ Praxis feiern, die nichts an den ausbeuterischen Verhältnissen ändern, unter denen Frauen Tag für Tag in Lohnarbeit und Zuhause ackern müssen.

Zusammenfassend wollen wir festhalten, dass es als voller Erfolg zu werten ist, dass es erfolgreich und ohne größere Repressionen funktioniert hat die Fundamentalist:innen zu blockieren. Darauf können wir uns aber nicht ausruhen, im Gegenteil müssen wir unsere Taktik stetig weiterentwickeln und ausbauen. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Polizei im nächsten Jahr gleichermaßen überfordert ist oder unser Gegenprotest im Gunst der herrschenden in Köln steht. Wenn wir im nächsten Jahr erfolgreich sein wollen, dann müssen wir uns mit aller Ernsthaftigkeit mit den Fehlern aus diesem Jahr befassen und uns darauf vorbereiten nächstes Jahr noch besser und strukturierter Widerstand leisten können – Gegen Fundamentalist:innen, Faschist:innen und Polizei.

Kein Frieden im Imperialismus – Betrachtungen zum Ukraine-Krieg und “Zeitenwende”

Wir teilen hiermit die Veröffentlichung von Perspektive Kommunismus:

Blockkonfrontation

Seit dem 24. Februar 2022 eskaliert der Krieg in der Ukraine immer weiter. Dieser Krieg bleibt Schauplatz der heißen Auseinandersetzung zwischen dem westlichen Block, den USA und der EU, auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite. Die USA und die EU kämpfen um mehr Einfluss in der Region, Russland versucht seinen bestehenden Einfluss zu sichern und mit dem Angriff auf die Ukraine militärisch aufrechtzuerhalten.

Die Widersprüche zwischen den verschiedenen Lagern der Herrschenden spitzen sich derzeit nicht nur in der Ukraine zu. Dass Russland sich dagegen wehrt, dass westliche Imperialisten über die Ressourcen, Arbeitskräfte und Märkte des Landes herfallen und auf deren Vorstöße in Richtung seiner Einflusssphären in Osteuropa mit eigener militärischer Aggression antwortet, ist der eine Brandherd.

Dieser Krieg scheint Vorbote einer noch größeren Eskalation zu sein, die sich zwischen dem westlich-imperialistischen Lager mit den USA an der Spitze und insbesondere China und Russland auf der Gegenseite anbahnt. Die Herrschenden beider Länder im Osten sind nicht bereit, die gewaltsame Aufrechterhaltung der kriselnden US-Hegemonie zu akzeptieren. Der strategisch bedeutendere Gegner des US-Imperialismus ist dabei China. Auf dem NATO-Gipfel in Vilnius im Juli 2023 wurde das von den Mitgliedsstaaten klar benannt und in der gemeinsamen Abschlusserklärung festgehalten. Vor allem Chinas wirtschaftliche Stärke, seine internationalen Kooperationen und Fähigkeiten, Wirtschaftspartner anzubinden, die sich vom Westen abwenden, sind für das NATO-Lager eine ernsthafte Bedrohung.

Die zunehmende militärische Mobilmachung rund um die indopazifischen Inseln, die von den USA vorangetrieben und von China mit militärischen Vorbereitungen und Manövern beantwortet wird, ist in diesem Zusammenhang ein weiterer Brandherd, der zum Flächenbrand werden könnte.

Ukraine: Krieg ohne Ende

Die Aufrüstung der Ukraine zum westlichen Frontstaat begann schon Jahre vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Seit dem Maidan-Umsturz 2014 und dem Beginn des Bürgerkriegs in der Ostukraine gingen Militärberater und Ausbilder der NATO dort ein und aus. Militärgerät, Munition, Aufklärung, Ausbildung, Beratung – all das wird auch heute durch das Militärbündnis gestellt. Es gibt keine Unabhängigkeit der Ukraine von diesem Einfluss. Nur ein einprägsames Beispiel: Die Ansätze von Russland und der Ukraine im März letzten Jahres, bereits eine Verhandlungslösung zu erreichen, wurden auf Beharren der USA und von Großbritannien gestoppt.¹ Ob und wann der Krieg beendet wird hängt maßgeblich von den Interessen der westlichen Kriegsallianz ab.

Die lange angekündigte ukrainische Gegenoffensive hat im Juni dieses Jahres begonnen. Sie hat allerdings nicht die Wirkung und Schlagkraft entfaltet, die sich die NATO (zumindest in der Außendarstellung) erhofft hatte. Eine Wende auf dem Schlachtfeld wurde trotz hoher Verluste auf beiden Seiten bislang nicht erreicht. Es sind allerdings noch weitere taktische Phasen der Offensive zu erwarten und auch in Russland mehren sich die Anzeichen für eine erneute Angriffswelle am Ende des Sommers. Russland wird alles daran setzen, dass die ukrainische Seite die weitgehenden Ziele, die sie vor sich herträgt, nicht erreicht: Das gilt für die Rückeroberung aller seit Februar 2022 besetzten Gebiete, ebenso wie für die Rückeroberung der Krim-Halbinsel. Die militärischen Mittel für diese Konfrontation werden sowohl in Russland als auch in der vom Westen hochgerüsteten Ukraine immer weiter ausgebaut: Die westlichen Sanktionen treffen zwar die einfache Bevölkerung in vielen verschiedenen Ländern, die russische Kriegswirtschaft wird dadurch aber kaum geschwächt. Zwangsrekrutierungen finden auf beiden Seiten statt. Russische Politiker bereiten darüber hinaus eine Generalmobilmachung vor, um noch mehr Menschen an der Front verheizen zu können. Und das mit deutlichem Klassencharakter: Schon seit einem Jahr werden zehntausende russische Häftlinge für die Front angeworben. Wer den mehrmonatigen Fronteinsatz überlebt, soll dafür freigelassen werden. In der Realität heißt das: Die prekärsten und am wenigsten verwertbaren Teile des Proletariats werden zum Kanonenfutter.

Auf keiner der beiden Seiten gibt es derzeit Ansätze, den Krieg in absehbarer Zeit zu beenden und keine Seite hat die Möglichkeit, den Gegner auf dem Schlachtfeld zu besiegen, ohne eine unkontrollierbare Eskalation in Gang zu bringen. Dynamiken in Richtung Weltkrieg und Nuklearwaffeneinsatz bleiben eine schwelende Gefahr, auch wenn sie nicht eingeplant sind. Aktuell verfestigt sich im Osten der Ukraine aber vor allem ein zäher Abnutzungskrieg. Die Schlacht um die Stadt Bachmut hat das in ganzer Grausamkeit gezeigt. Parallelen zu den Schützengräben und Materialschlachten im Ersten Weltkrieg sind nicht aus der Luft gegriffen. Das sinnlose Sterben und Verstümmeln von Hunderttausenden geht weiter und ganze Regionen gehen in Schutt und Asche unter. Unmittelbare Gewinner sind einzig und allein Rüstungskonzerne wie Rheinmetall, für die der enorme Verschleiß an Kriegsgerät eine sprudelnde Profitquelle ist.

Es gibt (aktuell) weder in der Ukraine noch in Russland Antikriegsbewegungen, die in der Lage wären, die Herrschenden im eigenen Land ernsthaft in Bedrängnis zu bringen, die Kriegsbestrebungen der eigenen Regierung zu durchkreuzen, sie zu Verhandlungen zu zwingen oder besser noch: sie zu stürzen. Der gescheiterte Putsch-Versuch der Wagner-Gruppe in Russland hat zwar gezeigt, dass die herrschende Clique um Putin nicht allmächtig ist. In den Machtkämpfen unter den russischen Kriegstreibern, die das Regime bislang für sich entscheiden konnte, herrscht aber Einigkeit im Kurs, jede Regung gegen den russischen Krieg mit harter Repression zu verfolgen. Mit ähnlicher Härte geht auf der anderen Seite auch der ukrainische Staat gegen Kriegsgegner:innen und Deserteure vor.

Bauet auf und reißet nieder – Entwicklungshilfe und Wiederaufbau als kapitalistisches Instrument

Große Teile der ukrainischen Infrastruktur, zahlreiche Fabriken, Verwaltungsbauten und unzählige Wohngebäude wurden bisher zerstört, die ukrainische Wirtschaft ist drastisch geschrumpft und befindet sich im Kriegsmodus. Es fehlt an Dienstleistungen und Geschäften für den täglichen Gebrauch. Die USA, BRD und andere westliche Staaten konkurrieren schon jetzt um den Wiederaufbau, die lukrativsten Geschäfte und darum, wer welches Stück vom Kuchen bekommt. Bereits wenige Monate nach Kriegsbeginn haben auch Vertreter:innen der deutschen Wirtschaft Entwicklungshilfe und Wiederaufbau für die Ukraine angekündigt.

Aus purer Nächstenliebe handeln die Kapitalist:innen dabei definitiv nicht. Wiederaufbau und Neustrukturierung der kriegszerstörten Wirtschaft bieten Investitions- und Profitmöglichkeiten riesigen Ausmaßes. Krieg war schon immer ein Mittel kapitalistischer Krisenlösung. Die Vernichtung von Wert erschafft immer auch einen neuen zukünftigen Markt.

Dabei wird die gelieferte militärische Unterstützung darüber entscheiden, wer in welchem Maße mitsprechen kann. Die BRD ist nach den USA das Land, das am meisten militärische Unterstützung in die Ukraine schickt. Eine Win-win-Situation für das deutsche Kapital: Extreme Profite durch den Verkauf von Waffen während des Krieges und langfristige Profitsicherung mit Integration der Ukraine in die EU. In der Ukraine wird diese Aussicht im Schatten des Krieges schon jetzt vorbereitet: Mit einer sogenannten „Arbeitsmarktreform“ wurden die gewerkschaftlichen Rechte von Arbeiter:innen bereits im vergangenen Sommer massiv beschnitten. Diese sieht unter anderem vor, dass eine wirksame gewerkschaftliche Organisierung in Betrieben mit unter 250 Beschäftigten nun nicht mehr möglich sein soll. Aktuell ist das Kriegsrecht die Hauptwaffe gegen die Arbeiter:innenklasse: Demonstrationen und Streiks sind verboten.

Deutscher Imperialismus auf Kriegskurs

Aktuell stützen die stärksten Teile der Herrschenden in der BRD zwar die NATO-Strategie des US-Imperialismus. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Bourgeoisie auch eigene Interessen verfolgt. Mit der „Zeitenwende“ rüstet sie sich nicht nur an der Seite der USA gegen Russland und China auf, sie bereitet sich auch darauf vor, eigene Interessen in der verschärften Konkurrenz um Einflusssphären mit mehr Nachdruck durchzusetzen. Die Aussicht, selbst wieder als Großmacht aufzutreten, wird vom Regierungslager wieder ungeniert ins Rennen gebracht. Wo der Militarismus seine Wurzeln in der Gesellschaft geschlagen hat, lassen sich die Feindbilder anpassen…

Die Aggressivität des deutschen Imperialismus reicht bis ins Kaiserreich zurück. Hurrapatriotismus, kulturelle Überlegenheitsfantasien, Militarisierung nach innen und Aufrüstung gingen damit einher. Diese Durchdringung der ganzen Gesellschaft wurde weder 1918, noch am 8. Mai 1945 wirklich überwunden. Jetzt soll der Ukrainekrieg den Rahmen bieten, Kriegsvorbereitungen und Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung unter neuen Vorzeichen zu befestigen: Dazu wurde direkt nach dem russischen Angriff die sogenannte „Zeitenwende“ eingeläutet und nun, im Sommer 2023, im Bundestag eine „Nationale Sicherheitsstrategie“ beschlossen, die die „allgemeine Wehrhaftigkeit“ der Gesellschaft steigern soll. Unter anderem durch Anhebung der Rüstungsausgaben auf NATO-konforme 2% des BIP – 2024 sind ganze 71 Milliarden Euro eingeplant bei gleichzeitiger Kürzung in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Bildung. Die dauerhafte Stationierung von Bundeswehrsoldaten in Litauen und Deutschland als Austragungsort von „Air Defender 2023“, der größten NATO-Luftwaffenübung seit Bestehen des Militärbündnisses, sind weitere Schritte auf diesem Weg. Eine im Gleichschritt berichtende bürgerliche Presse liefert dazu tagein, tagaus das passende Bedrohungsszenario mit dem Feindbild Russland und dem Schreckgespenst des chinesischen Aufstiegs. Dabei spielt liberaler Moralismus eine wichtige Rolle: Immer wieder werden vermeintliche und tatsächliche Menschenrechtsverstöße oder Aggressionen des gegnerischen Blocks oder abtrünniger Staaten ins Feld geführt, um Feindbilder zu vertiefen. Das chauvinistische Geplärr bürgerlicher Politiker:innen, wahlweise von der „Rückständigkeit des Feindes“ oder vom „Imperialismus der Anderen“, soll die Kriegsbegeisterung moralisch aufgeladen in der Bevölkerung verankern.

Friedensbewegung von Rechts?

Wirtschaftskrieg, der „Feind im Osten“, Waffenlieferungen und NATO-Aufrüstung werden hier in der Bevölkerung nicht von allen befürwortet. Die Kriegsbegeisterung hält sich trotz des medialen Trommelfeuers in Grenzen. Laut einer aktuellen Umfrage, die von der dpa in Auftrag gegeben wurde, würden sich nur 5% der Bevölkerung im Angriffsfall freiwillig zum Kriegsdienst melden

Und auch der breite Unmut wegen der Teuerungen (vor allem in der Grundversorgung bei Energie und Lebensmitteln) lässt sich nicht vom westlichen Wirtschaftskrieg trennen. Der Zusammenhang ist in der Frage der Energiepreise mehr als offensichtlich – auch wenn die tieferen Ursachen der allgemeinen Preissteigerungen in der Krise der kapitalistischen Produktionsweise liegen und durch gigantische Profitraten von Großkonzernen auf die Spitze getrieben werden. Auf jeden Fall ist die Rhetorik der Ampelregierung, „den Gürtel im Kampf gegen Russland nun enger schnallen zu müssen“, in der Breite der Bevölkerung und vor allem in der Arbeiter:innenklasse nicht auf große Begeisterung gestoßen.

Die AfD hat als einzige Fraktion im Bundestag dagegen polemisiert und geschlossen gegen die Waffenlieferungen in die Ukraine gestimmt. Ihr aktueller Höhenflug ist Teil eines rechten Rollbacks in der gesamten Gesellschaft. Ein besonderer Grund für ihre Stärke ist dabei, dass sie es schafft, sich als Friedenskraft zu verkaufen. Sie schafft es, verbreitete Ängste vor der Kriegseskalation und vor den Folgen des Wirtschaftskriegs für sich zu nutzen. Und das, obwohl die Partei durch und durch für mehr militärischen Einfluss Deutschlands in der NATO, für noch höhere Militärausgaben und weitere Aufrüstung und Militarisierung im Innern steht. Gegen die deutschen Waffenlieferungen stimmt die Partei in diesem Fall, um den Unmut in der Bevölkerung aufzugreifen und weil die Teile der Kapitalistenklasse, die sie vertritt, in diesem Krieg wenig zu gewinnen haben. Sie geraten im Wirtschaftskrieg des Westens selbst unter die Räder der stärkeren pro-amerikanischen Fraktionen, die von der Ampelregierung vertreten werden. Gestörte Lieferketten und Preissteigerungen sind ein reales Problem für viele der Kleinbürger:innen und mittelständischen Unternehmen, die sich um die Partei sammeln.

Die politische Übernahme der Friedensfrage von Rechts ist derzeit einerseits möglich, weil der jahrzehntelang geschürte Antikommunismus der Herrschenden und die Schwäche der fortschrittlichen Friedensbewegung in der BRD dafür sorgen, dass linke Alternativen kaum sichtbar sind. Die andere Ursache liegt darin, dass weite Teilen der deutschen Linken nach dem russischen Angriff selbst einen Rechtsschwenk mitgemacht haben: Sie haben den Hauptfeind schnell in Russland verortet und sich mit der Unterstützung deutscher Waffenlieferungen und der NATO-Kriegsführung klar auf die Seite der Herrschenden im eigenen Land geschlagen.

Mach, was wirklich zählt: Antimilitaristisch kämpfen!

So sicher wie das Amen in der Kirche ist, dass die Kapitalist:innen daran festhalten werden, ihre Interessen mit Kriegen durchzusetzen. Der französische Sozialist Jean Jaurés hat das schon vor über einem Jahrhundert einprägsam beschrieben: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen.“ Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg wissen wir auch: Kapitalistische Kriege sind die Momente, in denen es besonders wichtig ist, die Möglichkeit von Revolution und Sozialismus, von einer gesellschaftlichen Alternative zur immer wiederkehrenden kapitalistischen Barbarei, sichtbar zu machen. In Anbetracht der aktuellen Schwäche und Uneinigkeit der Linken und Arbeiter:innenbewegung in großen Teilen Europas mag das zwar mehr als ambitioniert klingen. Dennoch ist es unverzichtbar und möglich, Ansätze dafür schon im Kleinen zu entwickeln: Im Kapitalismus die Ursache der endlosen Kriegstreiberei zu erkennen ist das Wesentliche und Dank der Fülle aktueller und geschichtlicher Analysen und Informationen auch gut belegbar. Daran eine Politik anzuknüpfen, die den Bruch mit diesem System und den Aufbau einer friedlichen und solidarischen Gesellschaftsordnung klar in Angriff nimmt, ist die größere Herausforderung, an die es sich mühevoll heranzutasten gilt.

Um revolutionäre Perspektiven in der Kriegsfrage konkret zu machen, reichen keine klugen Worte. Der richtige Ort dafür sind die bestehenden Ansätze für Protest und Widerstand gegen die herrschende Kriegspolitik.

  • Die seit dem russischen Einmarsch immer wieder aufkommenden, teils eher diffusen und kleinbürgerlichen Friedensmobilisierungen gilt es nicht nur von außen zu kritisieren, weil dort vertretene Argumentationen nicht die Interessen der Arbeiter:innen und eine internationalistische Sicht in den Mittelpunkt stellen oder weil sie rechten Kräften Anknüpfungspunkte bieten. Es gilt Möglichkeiten zu suchen, dort selbst sichtbar zu werden, mit antikapitalistischen Positionen zu überzeugen und AfD und Co. herauszudrängen.
  • Und auch in den sich entwickelnden Arbeitskämpfen vor dem Hintergrund der Teuerungen gilt es, jede Möglichkeit zu nutzen, um die Zusammenhänge zwischen Lohndrückerei und Kriegskurs aufzuzeigen: Ob es die Einsparungen im öffentlichen Dienst sind, die im Gegensatz zu Milliarden für Rüstung und Waffenlieferungen stehen, oder ob es die Bescheidenheit ist, die Kapitalist:innen von Arbeiter:innen einfordern, um die Lasten des Wirtschaftskriegs „gemeinsam zu tragen“.

Es geht um einen klaren Kurs gegen die Herrschenden im eigenen Land, ohne sich auf die Seite der russischen Kriegstreiber zu schlagen, und um volle Solidarität mit der Bevölkerung in allen involvierten Ländern – auch wenn diese Linie nur von wenigen vertreten und von vielen angegriffen wird, lohnt es sich in der Arbeiter:innenklasse darum zu ringen.

Und dann bleibt da noch ein ganz konkreter Kampf, der unerlässlich ist für jede Perspektive jenseits von Kapitalismus und Kriegstreiberei: Der gegen die Rüstungsindustrie und das kapitalistische Militärwesen.

Sand ins Getriebe der Kriegsmaschinerie zu streuen, ihre Propaganda zu entlarven, nicht zuzulassen, dass ihre Präsenz zur Normalität wird, zu blockieren und zu sabotieren: Der Kampf gegen die Kriegstreiber ist nichts abstraktes. Er hat eine lange Tradition und er ist international: Ob in Russland, Belarus, in der Ukraine oder den NATO-Staaten – für Linke gilt nach wie vor: Der Kampf gegen den Krieg beginnt im eigenen Land und ist in Solidarität verbunden mit denen der Kriegsgegner:innen in anderen Ländern. Es gilt also hier anzupacken!

Ansatzpunkte gibt es genügend. Nur ein Beispiel: Dass Rheinmetall dank des Gemetzels in der Ukraine Anfang diesen Jahres in den DAX aufsteigen konnte und nun Reparaturzentren für Kriegsgerät in der Ukraine aufbauen will zeigt, dass hier eine aktive Kriegspartei am Werk ist. Gegen den Konzern vorzugehen ist ein realer Beitrag im Kampf um Frieden. Und es zeigt klar auf: Das Ende der Kriegstreiberei wird nicht durch Diplomatie zwischen den Herrschenden erreicht, sondern im Kampf gegen sie und gegen die mit ihnen verbandelten Profiteure.

Das schließt auch den Kampf gegen die Kriegspropaganda der Bundeswehr mit ein, die sich derzeit gesellschaftlich so aktiv zeigt, wie noch nie. Die Truppe als moderne Arbeitgeberin mit Karriereversprechungen und angeblichen Gleichberechtigungsperspektiven für Frauen, dazu eine Regenbogenflagge am Verteidigungsministerium zum Christopher-Street-Day. Bundeswehr-Werbeoffensiven mit Action-Serien, auf jugendlich gemachte Plakatierungen, Pop-Up-Stores, Schultouren und Stände auf Berufsmessen: Gegen diese Erlebniswelt des Militarismus vorzugehen ist nicht nur eine Frage von Anstand und Geschichtsbewusstsein – auch wenn das gerade im Hinblick auf die zahlreichen Nazi-Aktivitäten in der Truppe mehr als berechtigt ist. Es ist auch eine Frage der gesellschaftlichen Perspektive: In den kommenden Jahren können wir von einer Zunahme deutscher Kriegsbeteiligungen ausgehen. Daher ist es notwendig, antimilitaristische Positionen zu stärken und nach Mitteln und Wegen zu suchen, gegen die Rekrutierungsmaschinerie vorzugehen.

Im Gegenzug haben wir lediglich einen Kampf anzubieten, in dem blinder Gehorsam und nationale Großmachtsfantasien keinen Wert haben: Den praktischen Versuch, sich den Herrschenden entgegenzustellen und revolutionäre Politik in der Arbeiter:innenklasse zu entwickeln – die Perspektive mit einem Gesellschaftssystem zu brechen, das noch eine ganze Reihe an Krisen und Kriegen in sich trägt.

Heraus zum Antikriegstag!
Die Kriegspolitik der BRD angreifen!
Für den Kommunismus!

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1) Der damalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennet versuchte sich im März 2022 als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland. Dazu sagt er rückblickend wörtlich: „Ich hatte damals den Eindruck, dass beide Seiten großes Interesse an einem Waffenstillstand hatten.“ Beide wären zu Kompromissen bereit gewesen. Nach Gesprächen mit den Regierungen der USA, Großbritanniens, Deutschlands und Frankreichs kommt er zu dem Ergebnis: „Ich behaupte, dass es eine gute Chance auf einen Waffenstillstand gab, wenn sie [die westlichen Staaten] ihn nicht verhindert hätten.“ Bennet zufolge haben sich insbesondere die britische und Teile der US-Regierung mit der aggressiven Ablehnung von Friedensverhandlungen hervorgetan.


Gegen den “Marsch für das Leben”!

Am 16. September findet in Köln zum ersten Mal der „Marsch für das Leben“ statt. Dort versammeln sich christliche Fundamentalist:innen und andere konservative und reaktionäre Kräfte, um gemeinsam für eine Verschlechterung der Abtreibungsbedingungen, gegen Pränataldiagnostik und auch gegen Queere Menschen zu demonstrieren. Wir halten feministischen Protest gegen den „Marsch für das Leben“ für notwendig und haben uns einige Gedanken zu den Fundamentalist:innen, der Situation des Abtreibungsrechts, der allgemeinen Situation der Frauen und Queeren Menschen, sowie der feministischen Kämpfe in der BRD gemacht. Wir möchten mit diesem Text einen Beitrag zur Schaffung eines revolutionären Bewusstseins in feministischen Kämpfen allgemein und in den Kämpfen gegen den „Marsch für das Leben“ leisten.

Es ist uns wichtig erst einmal ein paar grundlegende Anschauungen zu der Unterdrückung der Frau dar zu legen.

Frauen werden im Kapitalismus immer noch dazu gezwungen, die Reproduktionsarbeit zu verrichten. Also die Arbeiten, die notwendig dafür sind, dass der kapitalistische Produktionsprozess möglich ist und vorangetrieben wird. Das bedeutet Kinder zu gebären, zu kochen und den Haushalt zu schmeißen. Eben jene Arbeit zu leisten, die abseits der eigentlichen Arbeitsstätten passieren muss, damit am nächsten Tag und im nächsten Jahrzehnt alles seinen gewohnten Gang gehen kann. Dafür ist auch das Nachkommen an neuen Generationen von Arbeiter:innen notwendig. Deshalb werden Frauen dazu gedrängt Kinder zu gebären, zu erziehen, zu pflegen und zu lieben.

Während der Industrialisierung wurden zusätzlich mehr und mehr Frauen in den Produktionsprozess eingebunden. Daraus folgte aber keineswegs die gerechte Organisierung der Reproduktionsarbeiten. Es zementierte sich eine doppelte Ausbeutung. Doppelt deshalb, weil Frauen auf der einen Seite nach wie vor die (unbezahlten) Reproduktionsarbeiten verrichten, auf der anderen Seite aber eben auch Lohnarbeit leisten.

Bis heute ist für das Maß der Ausbeutung die Klassenzugehörigkeit entscheidend:

Während sich reiche Frauen es leisten können für eine Abtreibung in die Niederlande zu reisen, können das arme Frauen nicht. Während es sich reiche Frauen herausnehmen können ihre Hausarbeit auf meist migrantische Putzkräfte abzuwälzen oder sogar ganze Schwangerschaften und die damit verbundenen Schmerzen und Risiken auszulagern, müssen arme Frauen selbst Putzen und die Risiken ihrer Schwangerschaften selbst tragen.

Wir fassen also zusammen: Das Bestehen des Kapitalismus ist nur durch die ökonomische Ausbeutung der Lohn- und Hausarbeitenden Frauen zu gewährleisten. Um also die Ausbeutung der Frauen zu sichern, hat sich ein ganzheitliches Unterdrückungssystem entwickelt und etabliert, welches durch die verschiedensten (auch gewalttätigen) Mechanismen die Rolle der Frauen sichert: das Patriarchat.

Doch wir sind dem nicht hoffnungslos ausgeliefert! Denn die feministischen Bewegungen der Geschichte habe zahlreiche Verbesserungen der Situation der Frauen im Kapitalismus erkämpft. Diese Verbesserungen haben sich dabei stets in Form von Reformen manifestiert, seltener auch in Form einer Bewusstseinsänderung in Teilen der Gesellschaft. Das Frauenwahlrecht hat zu einer teilweisen Integration von Frauen in das politische Leben geführt. Das Arbeitsrecht für Frauen, frei von gesetzlich gesicherter Einmischung der Männer, hat zu einer größeren finanziellen Unabhängigkeit von Frauen* gegenüber den Männern geführt. Sexueller Missbrauch, auch in der Ehe, ist in der BRD verboten und unter Strafe gestellt. Die schrittweisen Reformen im Abtreibungsrecht haben seitdem zahlreichen Frauen eine medizinisch betreute Abtreibung ermöglicht und stellenweise vor schwerwiegenden ökonomischen und gesundheitlichen Problemen geschützt. Das alles sind (mal mehr mal weniger) reelle und spürbare Verbesserungen der Situation von Frauen. Diese Reformen sind wichtig und sollten als Teilerfolge von kämpfenden feministischen Bewegungen auf dem Weg zu einer vollständigen Befreiung der Frau gesehen und anerkannt werden.

Dennoch haben all diese Reformen nicht zu einer auch nur ansatzweisen zufriedenstellenden Gesamtsituation geführt. Das liegt an dem Mittel der Reform selbst: Das Frauenwahlrecht führt im Endeffekt nur dazu, dass Frauen wählen können, ob ihre Unterdrückung von außen gelb, schwarz oder grün aussieht. Es hat dazu geführt das Frauen wählen können, ob Kriegswaffen von einer „feministischen“ Außenpolitikerin oder von einem normal imperialistischen Außenminister in Kriegsgebiete geliefert werden. Keine der populären Parteien vertritt eine ernsthafte (grundlegende) feministische Politik. Feministische Forderungen werden höchstens im Wahlkampf aufgestellt, jedoch niemals verfolgt, sobald es an die Regierung geht. Das Recht darauf das Frauen ihre Arbeit frei von den Männern wählen dürfen bleibt in höchsten Maße theoretisch und hat de facto zur Doppelausbeutung durch Haus- und Lohnarbeit geführt. Denn nach wie vor wird die Reproduktionsarbeit im privaten (die eigenen Kinder erziehen, kochen, putzen, etc.) als auch im gesellschaftlichen (Pflegeberufe, Erziehungsdienst, etc.) Bereich maßgeblich von Frauen verrichtet. Dabei bekommen sie entweder keinen oder nur einen verbrecherisch geringen Lohn. Sexueller Missbrauch steht zwar unter Strafe, die Gewalt an Frauen verhindert das allerdings nicht und der Staat zeigt auch wenig bis gar kein Interesse daran dies zu verhindern. Alle Ansätze von Schutz gegen Gewalt an Frauen müssen sich damit auseinandersetzen, dass ihnen kontinuierlich die Gelder und Einrichtungen gestrichen oder gekürzt werden.

Und auch die schrittweisen Reformen des Abtreibungsrechts haben im Kern nichts an dem Zustand geändert, dass der Staat nach wie vor aktiv in die körperliche Selbstbestimmung von Schwangeren eingreifen darf – und dies auch tut. Abseits davon, dass der Prozess hin zu einer Abtreibung für die allermeisten Schwangeren mit großen Schikanen, Torturen und einer enormen psychischen Belastung verbunden ist, wurden bis vor zwei Jahren diejenigen Ärzt:innen und Vereine, die über Abtreibungen Informieren mit Repressionen überzogen und strafrechtlich verfolgt – mit Hilfe des § 219b, der vom Hitlerfaschismus aufgestellt und mit Gründung der BRD direkt übernommen wurde.

All das zeigt uns, dass sich an der grundlegenden patriarchalen Ordnung auch durch Reformen nichts gerüttelt hat. Dies ist keine Überraschung und sollte uns nicht verwundern. Denn es ist der Kapitalismus, der die patriarchale Ordnung aufrecht erhält. Wie wir bereits festgestellt haben, ist der Kapitalismus auf die unbezahlte Reproduktion der Gesellschaft angewiesen und schafft dadurch die ökonomische Grundlage für den Erhalt des Patriarchats. Teil der Reproduktion ist auch das Nachkommen von neuen Generationen an Arbeiter:innen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die körperliche Selbstbestimmung und die eigene Entscheidungsmacht über Schwangerschaftsabbrüche nicht gegeben ist. Wir sehen vor allem international, dass die erkämpften Rechte immer wieder angegangen werden, wie bspw. durch repressive Abtreibungsgesetze in Polen, oder das komplette Verbot von Abtreibung in bereits 7 US-Bundesstaaten.

Wir brauchen eine Änderung der materiellen, greifbaren Grundlage, der Art und Weise, wie wir als Gesellschaft produzieren und reproduzieren. Diese Änderungen können wir nicht mit den jetzigen Profiteuren dieses Systems erreichen. Wir müssen eine Änderung gegen sie erkämpfen, denn die Profiteure des Kapitalismus verteidigen die bestehenden Verhältnisse mit allen Mitteln. Bei der Erkämpfung einer tiefgreifenden Veränderung spielen die Frauen eine besondere Rolle. Wie bereits erwähnt zeigt sich diese besondere Rolle schon historisch, denn an fast allen revolutionären Bewegungen weltweit waren maßgeblich Frauen beteiligt. Und auch heute ist dies noch aktuell, weil die lohnarbeitenden Frauen ebenso wie die Arbeiter produzieren, aber eben auch noch reproduzieren – bei gleichzeitiger härtester Ausbeutung. Ihnen werden im Vergleich zu den Männern bedeutet weniger Freiheiten zu gestanden. Das Patriarchat hat bereits einen derartig gefestigten Stand im Bewusstsein der Menschen, sodass schon in den Kämpfen für ein Ende der Ausbeutung eine aktive Beteiligung der Frauen und eine konkrete feministische Ausrichtung etabliert werden muss. Wir fassen also zusammen: es braucht eine Revolution, um die Grundlage für ein Ende der Ausbeutung der Frau zu schaffen. Diese Revolution muss feministisch sein, also die konkrete Situation der Frauen mit höchster Priorität beinhalten. Diese Revolution begreifen wir als die Zusammenführung aller Kämpfe hin zu einem Kampf der mit der unmittelbaren Aussicht auf einen Sieg an allen Fronten und in vollster Ausdehnung geführt wird.

Wir wollen, dass die gesellschaftlich notwendigen, reproduktiven Arbeiten so organisiert sind, dass sie sich tatsächlich am Wohle aller Menschen orientiert und nicht am Profit einiger weniger. Wir wollen eine Daseinsfürsorge, die sich solidarisch und kollektiv nach den Bedürfnissen der Menschen richtet. Wir wollen, dass unser Zusammenleben auf Solidarität aufbaut und wir kollektiv die Kinderbetreuung, Angehörigenpflege und die Krankenpflege gestalten.

Daraus ergeben sich für uns jetzt schon einige Aufgaben: den Aufbau von kampffähigen und organisierten Bewegungen, die Ausrichtung auf eine Zusammenführung dieser Bewegungen und die Verankerung der revolutionären Notwendigkeit in den fortschrittlichen Kämpfen.

Der Kampf darf sich allerdings nicht nur auf die Herrschenden beziehen, sondern muss sich auch denen in den Weg stellen, die am radikalsten für die Verschlechterungen der Situation der Frauen einstehen. Radikale Fundamentalist:innen und andere rechte und reaktionäre Akteure, ganz aktuell, diejenigen die sich am Marsch für das Leben beteiligen, sind ein Angriff auf Errungenschaften von feministische Bewegungen und für die Präsens von feministischen Positionen innerhalb der Gesellschaft.

Die Fundamentalist:innen vertreten eine zutiefst konservativ Haltung. Sie wollen ein patriarchales Frauen- und Familienbild schützen das in der Geschichte lange Zeit hegemonial war und von der Kirche entwickelt wurde und bis heute weitgehend propagiert wird.

Sie sehen dieses Frauen- und Familienbild bedroht und tatsächlich haben die Reformen und Veränderungen des letzten Jahrhunderts im Bezug darauf ihre Vorstellungen weitgehend zurückgedrängt. Die Fundamentalist:Innen argumentieren zwar in höchstem Maße moralisch und irrationalistisch und entziehen sich damit jeglichem vernünftigen (sprich: materialistischen) Argument, wir dürfen deswegen aber keineswegs den Fehler machen ihre Forderungen nach einem Abtreibungsverbot nicht auch materialistisch zu begreifen. Die Fundamentalist:innen verteidigen ein zutiefst frauenverachtendes Menschenbild und versuchen damit auf eine noch viel repressivere Weise als es der bürgerliche Staat ohnehin schon tut, die Existenz der Ausbeutung der Frau zu. Zwar argumentieren sie ihre Rollenbilder und Vorstellungen höchst moralisch, im Grunde genommen halten sie allerdings an der knallharten materiellen Ausbeutung der Frau fest.

Es lässt sich bei einigen der Organisationen die sich am „Marsch für das Leben“ beteiligen ein tatsächlicher Herrschaftsanspruch feststellen. So zum Beispiel „Opus Dei“, die an ihren Universitäten die eigene Wirtschaftselite ausbilden und sie dann durch ihre Kontakte in die wichtigen Positionen der europäischen Finanzwirtschaft einsetzen, vergleichbar mit der Nachwuchsrekrutierung bei Burschenschaften. Oder die AfD, namentlich Beatrix von Storch, die seit Jahren die Fundamentalist:innen und ihr reaktionäres Menschenbild finanziert und an den Märschen in der vordersten Reihe mitläuft.

Wir müssen sie mit höchster Intensität und allen verfügbaren Mitteln angreifen, kurzum handlungsunfähig machen, weil ihre Politik die Lebensrealität von Frauen aggressiv angreift und die Bedingungen für den revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus erschwert.

Wir rufen dazu auf, sich an dem Kampf gegen den Marsch für das Leben zu beteiligen und sich darüber hinaus in feministischen und revolutionären Kämpfen zu organisieren. Denn auch wenn wir aktuell gegen einen übermächtigen Feind kämpfen, können wir zusammen gewinnen.

Ausführung beschrieben. Wir empfehlen deswegen die Lektüre von: “Patriarchale Unterdrückung im Kapitalismus und feministische Perspektiven”.

Für ein Ende der Ausbeutung!

Für Frauenkampf und Revolution!

Für den Kommunismus!