Die Gesellschaft in der wir leben taumelt von einer Krise in die nächste – die Leidtragenden sind die Menschen aus der lohnabhängigen Klasse. Die Probleme liegen auf der Hand: Die Löhne stagnieren, die Mieten steigen, Heizen wird teurer, die Lebensmittel und der Sprit auch. Wir müssen mit immer weniger Geld auskommen. Es wird Krieg geführt, die Gesundheitsversorgung liegt brach, alle Bereiche des Lebens werden immer schneller auf Profit ausgerichtet. Das Patriarchat hält sich trotz aller feministischen Bewegungen der letzten Jahre hervorragend, der Rechtsruck ist nach wie vor präsent, Faschist:innen organisieren sich und verüben rassistische Anschläge. Durch die Klimakatastrophe steuert diese Gesellschaft auf den Abgrund zu. Es gibt so viel zu tun, dass es schwierig wird den Ansatzpunkt zu finden. Wir wollen mit diesem Text einmal rauszoomen und einen Blick auf die Struktur unserer – kapitalistischen – Klassengesellschaft werfen, unsere eigene Perspektive dagegen stellen und ein paar Schlussfolgerungen für die konkrete Praxis ziehen. Wir wollen aber kein Buch schreiben, sondern uns anlässlich der Landtagswahl „nur“ mit unserer Haltung zum heutigen Staat und unserer gesellschaftlichen Perspektive beschäftigen.
Wie ist die Lage?
Den Mitgliedern der kapitalistischen Klasse gehört schlicht und einfach jede Fabrik, jeder Konzern und jede Supermarktkette – das macht sie ja eben zu Kapitalist:innen. In ihrer Hand sind natürlich auch die Konzerne der wichtigsten deutschen Wirtschaftszweige: Waffen, Autos, Chemie und Werkzeugmaschinen. Fast die gesamte Wirtschaftsleistung Deutschlands wird von Kapitalist:innen verwaltet und beherrscht. Diese ökonomische Macht ist es, die es der kapitalistischen Klasse ermöglicht zu herrschen, die Gesellschaft zu kontrollieren und nach ihren Bedürfnissen zu gestalten, das wichtigste Mittel dafür ist der Staat. Er organisiert große Teile der für die Wirtschaft unverzichtbaren Infrastruktur wie Autobahnen, Eisenbahn und den Bau von Flughäfen, er organisiert die Ausbildung der jeweils nächsten Generation Arbeiter:innen und Angestellten. Er ist ein wesentliches Mittel der kapitalistischen Klasse um das gesellschaftliche Leben zu strukturieren und zu lenken. Das zeigt sich deutlich am Beispiel der Klimapolitik: trotz aller Versprechen bleiben wir an fossiler Energie kleben, erst wurde das mit „Alternativlosigkeit“ begründet, jetzt mit dem Verhalten des russischen Staats. Statt Erdgas aus Russland bekommen wir jetzt Kohle aus Deutschland und Gas aus Katar. Der deutsche Staat sichert die Interessen der deutschen Wirtschaft. Die Verantwortung für den Klimawandel wird auf uns abgewälzt: Wer nicht vegan lebt, Auto fährt und in den Urlaub fliegt ist schuld – Währenddessen führen die Herrschenden Krieg, mit allen Konsequenzen für die Umwelt. Dass das kapitalistische System trotz aller Widersprüche und Krisen, zumindest in Deutschland, sehr stabil ist, hat aber weitere Gründe. Die auch durch staatliche Institutionen wie die „Bundeszentrale für politische Bildung“ oder die zahlreichen staatlich finanzierten Stiftungen durchgesetzte Hegemonie der kapitalistischen Ideologie über die Gesellschaft bedeutet in letzter Konsequenz: Die freiwillige Unterordnung der restlichen Gesellschaft unter die Herrschaft des Kapitals. Das zeigt sich an ganz vielen Stellen, denn diese Gesellschaft ist eben auch „psychologisch“ eine kapitalistische. Die Identifikation der Menschen aus der lohnabhängigen Klasse mit dem kapitalistischen System ist eins der größten Probleme, mit denen sich die radikale Linke und natürlich auch wir als Kommunist:innen auseinandersetzen müssen.
In der Presse wird oft noch die liberale Vorstellung von Meinungsfreiheit gelebt und so getan, als könnten sich alle Probleme der Gesellschaft durch Diskussionen lösen lassen. Dabei sind die größten Medienkonzerne auch kapitalistische Konzerne, die sich hauptsächlich an den Äußerungen der führenden bürgerlichen Politiker:innen orientieren. Das zeigt sich besonders in der aktuellen Ukraine-Krise. Statt ein differenziertes Bild beider Kriegsparteien abzubilden spiegeln die Medien die Kriegspolitik des Staates. Beispielsweise werden die faschistischen Strukturen in der ukrainischen Regierung und dem Militär ignoriert, die Ukraine uneingeschränkt positiv und schutzbedürftig dargestellt und so die Kriegspolitik des deutschen Staates gerechtfertigt. Selbst in der „radikalen“ Linken geht die Angst um als Unterstützer der russischen Kriegspolitik diffamiert zu werden, wenn sich kritisch zur Ukraine und der NATO geäußert wird.
In den Gewerkschaften herrscht momentan die Meinung vor, dass es möglich wäre sich langfristig mit den Kapitalist:innen auf Kompromisse zu einigen. Die unsinnigsten Gesetze werden sklavisch befolgt, die absurdesten Theorien wie „Es sind einfach zu viele Menschen auf diesem Planeten“ verbreitet. Als wenn der Kapitalismus 1920 soviel cooler gewesen wäre als heute. Diese Haltung zeigt sich aber auch in für unsere aktuelle politische Praxis wichtigen Feldern: Der eingeimpfte Respekt vor der Uniform des Bullen, Diskussionen über Militanz auf ausschließlich abstrakt-moralischer Ebene, Egoismus und Machtstreben, Mackerverhalten und Rassismus, Individualismus und Kritikunfähigkeit, aber auch beispielsweise die Ausrichtung des politischen Kampfes auf Freiräume und persönliche Komfortzonen sind Symptome der ideologischen Hegemonie des Kapitals. Wegen der herrschenden Ideologie, wegen des Staates und wegen handfesten Interessen von Einzelpersonen, werden wir niemals im Konsens mit allen Mitgliedern der Gesellschaft den Sturz des Kapitalismus erreichen können. Solange der Kapitalismus existiert, wird unsere Bewegung immer einen Kampf gegen die herrschenden Zustände und seine Verteidiger:innen führen müssen.
Für alle, die aus dieser ideologischen Hegemonie ausbrechen und den Kampf gegen das kapitalistische System aufnehmen, stellt sich schnell die Frage der Repression. Politische Aktivist:innen, die manche Gesetze unserer Gesellschaft übertreten, stehen früher oder später der Polizei gegenüber. Im Optimalfall in einer dynamischen Situation auf der Straße, im nicht so optimalen Fall aber auch im Hausflur und dem eigenen Schlafzimmer. Wenn sich also die politische Konfrontation so zuspitzt, dass der Knüppel aus dem Sack kommt, zeigt der Staat seine zentrale Aufgabe: Als Mittel zur Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung. So ist er auch aufgebaut. Der Kern des Staates besteht – trotz allem Gerede über Parlamente und Demokratie – aus Militär, Polizei, Geheimdiensten, Gerichten, Staatssekretären und Ministerien. Das alles entzieht sich der direkten Kontrolle durch unsere Klasse und oft genug sogar der Kontrolle durch das Parlament. Die Gewaltenteilung des bürgerlichen Staates, also die Aufteilung des Staatsapparates in das Parlament, die Justiz und die Exekutive, sichert die Herrschaft der kapitalistischen Klasse indem ein großer Teil des Staates (gerade auch der bewaffnete Teil) der Kontrolle der Bevölkerung entzogen wird. Auch deshalb ist es unmöglich den Staatsapparat und den Kapitalismus einfach durch Wahlen zu überwinden – er muss zerschlagen werden.
Unsere Perspektive…
Die ganze Struktur der aktuellen Gesellschaft muss über den Haufen geworfen werden. Wir kämpfen dafür, dass die Produzent:innen selber die Produktion organisieren, statt wie jetzt im Kapitalismus für die Profite von Einzelnen ausgebeutet zu werden. Das meint nichts anderes als: Die ökonomische Macht in den Händen der lohnabhängigen Klasse. Die Konsequenz davon ist: Die Möglichkeit zur Gestaltung der Gesellschaft – also die Ausübung von politischer Macht. Natürlich mit der organisierten Unterdrückung reaktionärer Strömungen und Entfaltung aller fortschrittlichen Ideen, so wie es bis jetzt bei jeder erfolgreichen Revolution gelaufen ist. Oder kann sich jemand vorstellen, dass in der befreiten Gesellschaft noch Abtreibungsgegner:innen demonstrieren dürfen? Oder Faschist:innen? Dass in Schulen weiter Adenauer oder Bismarck als Held dargestellt werden kann? Allein schon aus diesen Gründen ist ein sozialistischer Staat unter der demokratischen Kontrolle der ehemaligen ausgebeuteten und unterdrückten Klasse notwendig, aber auch um die wirtschaftliche Entwicklung zu organisieren. Aber eben nicht undemokratisch, von der Bevölkerung isoliert und auf die Profitinteressen Einzelner zugeschnitten, sondern demokratisch, mit aktiver Beteiligung der lohnabhängigen Klasse und im Interesse der gesamten Gesellschaft. Der Staat wird so zu einem Werkzeug der Menschen, der ihre Initiativen unterstützt und nicht zu einem bürokratischen Ungeheuer, dass jede Veränderung erstickt. Der Aufbau eines eigenen – proletarischen – Staats ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit nach jeder Revolution. Selbst Revolutionär:innen die keinen Staat aufbauen wollten hatten plötzlich doch einen: Bewaffnete Unterdrückung einer Gruppe durch eine Andere, Selbstverteidigung durch Milizen oder sogar eine Armee, Gefängnisse für Feinde der Revolution, dementsprechend auch irgendeine Form von Rechtsprechung, organisierte Bildungsangebote und medizinische Versorgung und natürlich Propaganda. Die Existenz des Staates hat seine Begründung in den sozialen und ökonomischen Widersprüchen unserer Gesellschaft. Die kann man wegträumen, aber die Realität holt einen trotzdem ein. Die ökonomische und politische Macht in den Händen der lohnabhängigen Klasse verändert die Machtverhältnisse grundlegend und gibt uns überhaupt erst die Möglichkeit gesellschaftliche Probleme anzugehen. Zum Beispiel können wir sehr schnell die Kindererziehung, und Hausarbeit vergesellschaften und damit dem Patriarchat seine materielle Grundlage entziehen. So schaffen wir die Grundlage für dessen Abschaffung und die Möglichkeit im Kampf um Frauenbefreiung zu siegen. In dem Maße wie die ökonomischen Widersprüche während des sozialistischen Aufbaus verschwinden, werden auch die politischen Auseinandersetzungen in der Gesellschaft und sich widersprechende Ideologien verschwinden. Der Staat verliert dann notwendigerweise seinen politischen Charakter. Er wird zu einem rein technischen Instrument zu Planung der Produktion auf demokratischer Grundlage. Die Geschichte der bisherigen sozialistischen Versuche zeigt uns, dass auch um diese Perspektive ein bewusster Kampf geführt werden muss.
… schon heute umsetzen!
Was bedeutet das für unsere politische Arbeit heute? Wenn wir für den Sozialismus kämpfen und die Notwendigkeit einsehen den deutschen Staat zu stürzen, muss sich das auch schon heute in unserer politischen Arbeit zeigen. Wir müssen den Staat als das sehen was er ist: Ein Machtinstrument in der Hand unseres Gegners. Das bedeutet eben auch, dass viele der heutigen Gesetze, aber auch moralische Überzeugungen in der Gesellschaft, eine politisch Dimension haben und zur Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung beitragen. Also darf zum Beispiel die Frage, welche Aktionsform wir wählen, niemals vom bürgerlichen Rahmen dieser Gesetze und verinnerlichten Regeln abhängen. Stattdessen brauchen wir in jedem konkreten Fall eine Einordnung: Was wird durch eine Aktion vermittelt? An welche Zielgruppe richtet sie sich? Was kann es für Konsequenzen geben? Den deutschen Staat nicht als unseren Staat zu akzeptieren bedeutet für unsere Praxis auf der Straße: Eine nüchterne Einschätzung über Kosten und Nutzen einer Aktionsform treffen.
Dazu kommt natürlich, dass wir einen realistischen Blick auf den aktuellen Zustand der Bewegung haben müssen und das Niveau der Auseinandersetzung daran anpassen müssen. Zusammen mit einer inhaltlichen Vermittlung der Aktionen durch Flyer, Statements, Transparente, Vorträgen, Reden und Parolen und vielem mehr entsteht so eine Politik, in der Theorie und Praxis Hand in Hand gehen. Es muss normal werden, unsere Politik nicht am Rahmen der Gesetze dieses Staates auszurichten. Dieses Verhältnis darf sich aber nicht nur in der Praxis auf der Straße zeigen: Beispielsweise ist der deutsche Staat nicht in der Lage und hat auch kein großes Interesse daran patriarchale Gewalt konsequent zu verfolgen. Hier eigene Herangehensweise von unten zu organisieren kann schon in Ansätzen die Art und Weise zeigen wie eine selbstbestimmte Politik nach dem Sturz des Kapitalismus aussehen kann. Auch der Aufbau von eigener Infrastruktur, abseits von staatlicher Finanzierung und Profitzwang ist ein wichtiger Schritt zum Aufbau von Gegenkultur – solange der „Freiraum“ nicht zum Selbstzweck verkommt, sondern die Bewegung real stärkt.
Die Selbstorganisierung der Unterdrückten für ihre eigenen Interessen verbunden mit konsequenter antikapitalistischen Politik ist der Aufbau von Gegenmacht. Warum Gegenmacht? Weil an diesen Stellen eine kämpfende Bewegung entsteht, die den Staat, den Kapitalismus und die Gesellschaft nicht mehr als alternativlos hinnimmt, sondern in der politischen Praxis die ersten Schritte zum Aufbau der neuen Gesellschaft verwirklicht. Eben eine Macht aufbaut gegen die Macht der herrschenden Klasse. Sie entsteht durch den Aufbau der Organisation mit allem was an theoretischer, praktischer und kultureller Arbeit dazugehört, zeigt sich aber vor allem in Momenten der Konfrontation mit dem Gegner. Denn wie viel Gegenmacht jetzt eigentlich aufgebaut wurde, sehen wir am besten im Vergleich mit der anderen Macht. Nur mit Blick auf den Aufbau von Gegenmacht und Gegenkultur kann eine kämpfende Bewegung entstehen, die den Staat, den Kapitalismus und die Gesellschaft nicht mehr als alternativlos hinnimmt, sondern in der politischen Praxis die ersten Schritte zum Aufbau der neuen Gesellschaft verwirklicht.
Nur wenn sich unsere großen Ziele schon heute im kleinen zeigen, in diesem Fall eben unsere Haltung zum deutschen Staat, können wir langfristig den Kampf gegen das kapitalistische System erfolgreich – und glaubwürdig – führen.